Ich bin in einem Dorf aufgewachsen, das im Wappen ein Weberschiffchen führt.
In einem der Nachbarorte gibt es ein Weberhausmuseum, das die Lebensumstände der Handweber zeigt . Es ist größtenteils so eingerichtet, wie es sein letzter, 1964 im Alter von 85 Jahren verstorbener Bewohner hinterlassen hat - ein typisches Kleinbauern- und Handwerkshaus des östlichen Frankenwalds. Neben dem voll funktionsfähigen Webstuhl sind auch alle anderen zur Handweberei gehörenden Geräte zu besichtigen. Das Haus zeigt die bedrängten Verhältnisse, in denen die Handweber leben mussten. Ein gusseiserner Ofen im Wohn- und Arbeitsraum ist die einzige Heizquelle im Haus.
Ich habe einen Heidenrespekt vor der Leistung dieser Leute. Gut, ich nähe selbst, aber in ländlichen Gebieten war es früher üblich, die eigene Ernte zu verspinnen, das Garn im Winter in der Stube zu weben oder es zum Weber zu geben. In der Regel zählten bis 1900 zur Aussteuer auch ein Spinnrad mit Haspel, Leinen-Webstuhl, Leinenstoffe und selbstgefertigte Leinenhemden. Das zeigt, wie die Menschen damals den verschleißarmen und reißfesten Leinenstoff schätzten. Das gewebte Bauernleinen war früher sehr wertvoll und gehörte zu den Vermögenswerten eines Hauses.
Als Aussteuer war es so auch im Besitz meiner Vorfahren mütterlicherseits. Als ich im Teenageralter mit der Schneiderei anfing, habe ich ohne Rücksicht auf Verluste alles verschnitten, was nicht bei 3 auf dem Schrank war. So auch eben diese Leinenballen, die ich erst jetzt richtig zu schätzen gelernt habe. Viel ist nicht übriggeblieben, diese Reste setze ich jetzt aber bewusst ein.
Besonders gern habe ich das grobere Leinen mit einer Schussdichte von 10-20 Schuss auf den cm. Die Struktur ist oft lebhaft, Verdickungen im Schuss sind häufig. Die Kette war durch das auf und ab der Schäfte stärker beansprucht, deshalb wurden hier wohl die besser ausgesponnenen, manchmal feineren Garne verwendet. So kommt manchmal ein leichter Ripscharakter zustande.
Das hier ist der Sack, den meine Großmutter noch zum Aufbewahren von Stroh verwendet hat. Mit kleinen Stichen handgenäht. 10 Schuss/cm. Köperbindung. Und Sohn hat ihn diese Woche noch verwendet, als er den Nikolaus für Kinder der zweiten Klasse spielte.
Feinere Leinenstoffe hatten wir auch, die fielen jedoch damals als erstes der Schere zum Opfer. Unvorstellbar: bis zu 100 Schuß auf den cm waren wohl möglich.
Dieser Stoff ist etwas feiner, schaut mal die wunderbare Webkante an. Das ist Charakter! Gerade in Kombination mit so feinen modernen Stoffen ist das wunderwunderschön.
Und zuguterletzt die alte Bügelunterlage meiner Mutter: 1,60 x 1,80. Doppellagig mit Bändchenverschluss an der schmaleren Seite. "Das war wohl ein doppelschläfriges Bett." meint sie auf die Frage nach dem merkwürdigen Format. Ja, man hat sich wohl auch die Federbetten selbst gefüllt und dieses Teil hier war der Bezug dazu. Er wiegt 1880 g. Schwerer Schlaf. Statt Knöpfen wunderbar passende Bänder zum Binden. Und natürlich handgenäht.
Die meisten Stoffe waren damals maximal 90 cm breit, so wurden eben 2 Bahnen aneinandergenäht, um auf die notwendigen 1,60m für die "Doppelschläfrigkeit"zu kommen.
Und nein: Ich hab in meinen Vorlesungen bei Textilgeschichte immer gegähnt. Zu golddurchwirkten Barockgewändern finde ich nämlich keinen Zugang. Der Domschatz in Köln lässt mich kalt. Trotz allem Respekt für die handwerkliche Leistung.
Bauernleinen hat für mich was Grundsolides, Ehrliches. "Bäuerlich derb"
Wer bis hierhin durchgehalten hat---> Respekt! Und Danke!